Landesweites Projekt SELMA bietet Unterstützung für Menschen in der Prostitution/Sexarbeit: 309 Personen erreicht
Medizinische Versorgung für Prostituierte und Sexarbeiter*innen ohne Krankenversicherung in der Bodenseeregion dramatisch
Stuttgart/Friedrichshafen/Ravensburg - 16.12.2024 Trotz allgemeiner Versicherungspflicht gibt es in Deutschland laut Statistischem Bundesamt immer noch rund 61.000 Menschen, die nicht krankenversichert sind. Dazu zählen auch Prostituierte und Sexarbeiter*innen in prekären Lebensumständen. Dem Abschluss einer Krankenversicherung stehen oft Sprachbarrieren, ein ungeklärter Aufenthaltsstatus, das Fehlen eines festen Wohnsitzes, prekäre Arbeitsverhältnisse oder bereits bestehende Schulden entgegen. Das landesweite Projekt SELMA - Sensibilisierung und Empowerment für Menschen in der Prostitution - der Werkstatt PARITÄT hilft Menschen in der Prostitution und Sexarbeit beim Zugang in das reguläre Hilfesystem. Insgesamt konnten innerhalb von gut eineinhalb Jahren 309 Personen beraten werden. 184 Personen wurden in der Beratung an andere Fachberatungsstellen, Ärzt*innen, Behörden und Soziale Dienste vermittelt. Dabei standen gesundheitliche Anliegen für einen Großteil der Klient*innen an erster Stelle.
Christiane Bernhardt, Öffentlichkeitsarbeit SELMA bei der Werkstatt PARITÄT:
„Immer wieder kommt es im Rahmen unseres Projekts SELMA vor, dass Klient*innen keine Krankenversicherung haben. Sie werden nur im Notfall ärztlich behandelt. Gilt eine Schwangerschaft als Notfall? Nein. Ein Bandscheibenvorfall? Fehlanzeige. Was es braucht: Zugang zu einer umfassenden medizinischen Versorgung für alle Menschen ohne Krankenversicherung, sodass im Krankheitsfall niemand mit seinen Schmerzen und Ängsten allein bleibt und alle Menschen bedingungslos und unbürokratisch sofortige Hilfe erhalten.“
Florian Nägele, Teamleitung Beratungsstelle der MISA Arkade e.V. in Ravensburg:
„Wir konnten für unsere Klient*innen zwar die Kooperation mit der Frauenklinik in Friedrichshafen etablieren. Dennoch bleibt die medizinische Versorgung für Prostituierte und Sexarbeiter*innen ohne Krankenversicherung in der Bodenseeregion insgesamt problematisch: Zum einen werden durch die Kooperation ausschließlich gynäkologische Untersuchungen abgedeckt. Zum anderen hängt diese vom Engagement und den zeitlichen Kapazitäten von einzelnen Ärzten und einer Finanzierung durch Spenden ab.“
Annika Helgeth, Sozialarbeiterin Beratungsstelle MISA Arkade e.V.:
„Häufig sind unsere Klient*innen nicht krankenversichert, weil sie als Arbeitsmigrant*innen noch gar nicht für sich geklärt haben, ob sie in Deutschland bleiben. Und auch, weil viele Prostituierte von Stadt zu Stadt ziehen und nirgendwo richtig ankommen. Bei den Krankheitsfällen geht es um ganz unterschiedliche Beschwerden wie ein vereiterter Zahn oder Ohrenschmerzen. Auch immer wieder psychische Probleme. Unsere Klient*innen wissen dann oft nicht, an wen sie sich damit wenden können.“
Pressekontakte:
Werkstatt PARITÄT, Christiane Bernhardt, Tel. 0151/46145185, E-Mail: bernhardt@werkstatt-paritaet-bw.de, www.werkstatt-paritaet-bw.de
Beratungsstelle MISA, Florian Nägele, Tel. 0170/8568697, E-Mail: Florian.Naegele@arkade-ev.de, https://www.misa-arkade-ev.de/
Hintergrundinformationen:
Projekt: SELMA – Sensibilisierung und Empowerment für Menschen in der Prostitution (Laufzeit: 01/2023-09/2026)
Im Mittelpunkt des Projekts steht die niedrigschwellige Verweisberatung von Menschen in der Prostitution/Sexarbeit an weitere Stellen des Hilfesystems. Durch aufsuchende Arbeit in den Prostitutionsstätten erreichen die Sozialarbeiter*innen des Projekts die Menschen direkt an ihrem Arbeitsplatz. Die Projektmitarbeiterinnen initiieren den Beratungsprozess und vermitteln an andere Fachberatungsstellen, Ärzt*innen, Behörden und Dienste. Ziel von SELMA ist das Empowerment der ratsuchenden Menschen aus der Prostitution/Sexarbeit. Sie sollen informierte Entscheidungen treffen können, um ihre Lebenssituation selbstbestimmt zu verbessern. Das überregionale Kooperationsprojekt SELMA wird von Arkade e.V. (Beratungsstelle MISA) in Ravensburg und Friedrichshafen sowie der Aidshilfe Tübingen-Reutlingen e.V. (Beratungsstelle PROUT) gemeinsam mit der Werkstatt PARITÄT gGmbH umgesetzt. Es wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Europäische Union über den Europäischen SozialfondsPlus gefördert. Weitere Infos auf der SELMA-Projektseite.
Zwischenbilanz Projekt „SELMA“ für den Zeitraum 01.2023-09.2024
Insgesamt wurden an den beiden Projektstandorten 309 Personen im Zeitraum vom 01/2023-09/2024 erreicht. 184 Personen wurden in der Beratung an andere Stellen im Hilfesystem vermittelt. Am häufigsten wurden die Klient*innen von den Beratungsstellen vermittelt an: einen Arzt/eine Ärztin, das Gesundheitsamt, das Ordnungsamt, zur Schwangerschaft- und Familienberatung sowie zur Familien- oder Krankenkasse. Weitere Stellen, an die u.a. vermittelt wurde, sind die Wohnungsnotfallhilfe, das Bürgeramt, die Schuldnerberatung, die Aidshilfe und das Jobcenter. Die im Rahmen von SELMA erhobenen Zahlen zeigen: Gesundheitliche Anliegen sind für einen Großteil der Klient*innen äußerst dringlich – oder stehen für sie gar an erster Stelle. ARKADE e.V. führt das Projekt „SELMA“ in Friedrichshafen und Ravensburg sowie dem Landkreis Ravensburg und dem Bodenseekreis durch. Hier konnten in der gesamten Region 145 Personen erreicht werden. 99 Personen wurden an andere Stellen im Hilfesystem vermittelt.